Endlich – der Bus blinkt. „Jetzt aber schnell vorbei, bevor Aussteigende über die Straße wollen,“ mögen manche denken. Dabei müssen alle Fahrzeuge vorsichtig an öffentlichen Verkehrsmitteln vorbeifahren. Bei eingeschaltetem Warnblinklicht während des Haltevorgangs ist das Überholen verboten. Zwar sind die Aussteigenden genauso verpflichtet, auf den Verkehr zu achten und nicht schnurstracks loszulaufen, dennoch gilt gegenüber zu Fuß Gehenden besondere Vorsicht. Natürlich denkt man bei diesem Szenario zuallererst an überholende Autofahrer*innen, die Gas geben, um bloß nicht mehr den Bus vor sich zu haben – und von ihnen geht auch die größte Gefahr aus. Aber auch Radfahrende geraten in Konflikt mit aussteigenden Fahrgästen, vor allem, wenn der Radweg zwischen Haltestelle und Gehweg verläuft.
Radfahrende müssen laut §20 StVO genauso wie Kfz-Fahrer*innen in Schrittgeschwindigkeit und mit ausreichendem Abstand rechts an Haltestellen vorbeifahren, so dass eine Gefährdung der Fahrgäste ausgeschlossen ist, anderenfalls müssen sie halten. Diesen nötigen Abstand zu halten, ist oft von vornherein unmöglich. Radwege verlaufen regelmäßig dicht zwischen Wartehäuschen und Wartebereich, die beide meist nur wenig Platz bieten. Gerade zur Rush Hour stehen die Wartenden dann auch auf dem Radweg. Wenn Passagier*innen aussteigen, fehlt ihnen der Platz, um vor dem Radweg zu warten. Oder ihnen ist gar nicht bewusst, dass hier ein Radweg verläuft. Denn nicht jede Haltestelle ist den Fahrgästen vertraut. Für Radfahrende ist diese Verkehrsführung ähnlich tückisch, weil sie vom Verkehr auf der Fahrbahn nicht wahrgenommen werden und dann an Kreuzungen vermeintlich unvermittelt „auftauchen“. Noch dazu begegnen ihnen überall auf schmalen Radwegen Fußgänger*innen, weil die Wege der beiden nicht deutlich getrennt sind. Fuß- und Radverkehr werden so infrastrukturell in Konkurrenz geschickt, obwohl beide sozial und platzsparend agieren.
Quelle: SenUVK Berlin, 2018
der Erwerbstätigen nutzten täglich den ÖPNV
nutzen den motorisierten Individualverkehr (1% Mitfahrende)
fahren Fahrrad
gehen zu Fuß
Quelle: Destatis, 2019
Erdumrundungen
entspricht die durchschnittliche tägliche Fahrleistung von Linienbussen, Straßenbahnen, Eisenbahnen und S-Bahnen (mehr als 3,5 Milliarden Kilometer/Jahr)
Prozent
der Fahrleistungen im ÖPNV entfielen 2018 auf Linienbusse. (Eisenbahnen und S-Bahnen kamen auf jeweils 19 Prozent. Der Anteil von Straßenbahnen belief sich auf immerhin knapp neun Prozent.)
Die beste Lösung ist es, die Flächen zu entzerren und intuitiv zu gestalten, zum Beispiel durch einen deutlich erkennbaren Radweg hinter dem Wartehäuschen. Denn es ist auch nicht in Stein gemeißelt, dass Busse in Haltebuchten fahren müssen, damit Kfz-Fahrer*innen vorbeifahren können – warten ginge auch. Dann stünde mehr Platz auf dem Gehweg zur Verfügung und vielleicht sind manche Fahrgäste auch ganz froh darüber, nicht durch das ständige rechts Ranfahren hin und her geschüttelt zu werden.
Der ÖPNV ist der Platz-Leistungssieger der Verkehrsmittel, abgesehen vom zu Fuß Gehen. Jede*r Nutzer*in macht also ohnehin schon Platz, und zwar für alle. Bei einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometern benötigt ein Auto etwa 65 m², ein Fahrrad 41m² und ein zu 40 Prozent (!) ausgelasteter Bus gerade noch 4,5 m² pro Person. Auch wenn vermutlich kaum jemand aus altruistischen Gründen in öffentliche Verkehrsmittel steigt, sollte man dennoch bedenken, dass es Fahrgäste des ÖPNV sind, die den öffentlichen Verkehrsraum am wenigsten beanspruchen. Wer sich also von Bussen, Bahnen und ihren Fahrgästen genervt oder behindert fühlt – unabhängig vom Verhalten einzelner, richtet seine Kritik gegen die Falschen.
Es kommt nicht von ungefähr, dass die Berliner Verkehrsbetriebe seit 2019 Fahrzeuge, die widerrechtlich in Haltebereichen parken, selbst abschleppen dürfen. Das flächeneffizienteste Verkehrsmittel wird ausgebremst und damit unattraktiv, weil es ständig blockiert wird. Ein attraktiver, also pünktlicher und dicht getakteter, öffentlicher Nahverkehr ist ein Schlüssel, um Verkehrsräume gerecht zu verteilen – vielleicht der wichtigste. Denn was der ÖPNV als einziger leisten kann, ist der Zugang für alle – auch für Menschen, die weniger fit oder nur eingeschränkt mobil sind. Der Volksentscheid Fahrrad hat am 12. November 2016 der BVG genau diesen Dank entgegengebracht, indem die Aktivist*innen einen Tag lang Busfenster putzten. Sie wollten damit zeigen, dass das (mittlerweile in Kraft getretene) Mobilitätsgesetz nicht nur für Radfahrende gut ist, sondern auch für ÖPNV-Nutzer*innen. Wer Radverkehr fördern will, darf den ÖPNV nicht vernachlässigen, denn die Alternative zum Auto ist nicht für alle das Fahrrad.
Euro
Nicht in Schrittgeschwindigkeit an einem haltenden öffentlichen Verkehrsmittel vorbeigefahren
Euro und 1 Punkt
… inklusive Gefährdung der Fahrgäste
Euro und 1 Punkt
Durch unangepasste Geschwindigkeit als Radfahrer*in eine*n Fußgänger*in im Fußgängerbereich gefährden