In 15 kurzen Clips widmen wir uns jeweils einem Fehlverhalten auf der Straße und übertragen es in die Welt eines Schwimmbades. Wir wollen zeigen, dass ein Verhalten, das im Straßenverkehr gängig oder akzeptiert ist, in einem anderen Umfeld als geradezu „asozial“ oder normverletzend erlebt wird. Das Ziel ist, eine andere Perspektive anzubieten, um für die Belange anderer Verkehrsteilnehmer*innen zu sensibilisieren.

Bei vielen Verkehrsteilnehmenden herrscht regelmäßig Unsicherheit bis hin zu Unwissen über die geltenden Regeln im Straßenverkehr. Auch die Bedürfnisse der Nutzer*innen anderer Verkehrsmittel werden selten reflektiert. Dies zeigt sich in Social-Media-Beiträgen, wo sich die Meinungen oft gegenseitig bestätigen oder verstärken. Das Unwissen, oft bestärkt durch Klischees und negative Vorurteile, führt zu Konfliktsituationen im Straßenverkehr, die nicht nur unangenehm für die Beteiligten sind, sondern auch ein Unfallrisiko darstellen. Von einer weiteren Verschärfung dieser Konflikte durch eine steigende Verkehrsdichte ist auszugehen, da sich ein Zuwachs an Radfahrenden und an Verkehrsmitteln des Umweltverbunds allgemein abzeichnet.

Viel zitiert ist der §1 der Straßenverkehrsordnung – die gegenseitige Rücksichtnahme. Dabei wird in vielen Kommentaren klar abgegrenzt und das Fortbewegungsmittel zum Gegenstand der Selbstbeschreibung hochstilisiert. So stoßen DIE Autofahrer*innen auf DIE Radfahrer*innen und DIE Fußgänger*innen und so weiter. Das unspezifische „die“ erschwert jedoch eine Anerkennung anderer Bedürfnisse. Man ist sein Fortbewegungsmittel. Dabei bewegt sich niemand nur auf eine Art fort. Auch aus einem Auto muss man irgendwann aus-, von einem Fahrrad ab-, in den Bus einsteigen und umgekehrt. 

Die Kommunikationskampagne „Schöner Verkehren“ tritt für die gegenseitige Rücksichtnahme auf der Straße ein und zielt auf alle Verkehrsteilnehmenden. Wir haben in den sozialen Medien recherchiert, bei welchen Konflikten die Gemüter am häufigsten überschäumen und wie jeweils argumentiert wird. Selbstverständlich nehmen die meisten an, dass sie sich selbst völlig korrekt verhalten. Und wenn sie die StVO ausnahmsweise etwas „flexibler“ auslegen, dann gibt es einen triftigen Grund und keine Gefährdung durch das eigene Handeln. Doch genau das ist eine Frage der Perspektive. Radfahrende auf dem Gehweg meiden möglicherweise eine gefährliche Straße oder weichen aus, weil der Radweg blockiert ist. Das Sicherheitsempfinden Zufußgehender kann aber dennoch beeinträchtigt sein, egal, wie vorsichtig sich die Radfahrenden dort aus eigener Sicht bewegen. Ein*e Autofahrer*in, die ganz kurz in zweiter Reihe hält, kann möglicherweise nicht nachvollziehen, dass das „einfach Drumherumfahren“ für andere im fließenden Verkehr eine Herausforderung und damit womöglich Gefährdung darstellt. Und egal, wie die eigene Einschätzung ist, ein Regelverstoß bleibt ein Regelverstoß.

Der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag erklärt das zum Teil aggressive Verhalten wie folgt: Der Mensch ist in vielen Lebensbereichen darauf sozialisiert, sich durchzusetzen. Und zwar auch, wenn das bedeutet, dass er andere dadurch schädigt. Dies passiert nicht affektiv, sondern wird um der eigenen Vorteile willen in Kauf genommen. Durch ein Auto gewinnt man zusätzliche „Macht“, die dann eben auch gegen andere Menschen eingesetzt werden kann, die sogenannte motorisierte Gewalt. Radfahrenden agieren aus einem anderen Grund aggressiv: Sie fühlen sich strukturell benachteiligt und verstoßen gegen Regeln, weil sie sich im Recht sehen. Dies dürfte weitestgehend auch für Fußgänger*innen oder auch ÖPNV-Nutzer*innen gelten. Wenn ich schon auf den Luxus des eigenen Autos verzichte, möchte ich wenigstens das dies anerkannt und mit Rücksicht „quittiert“ wird. Natürlich erfolgt nicht jeder Regelverstoß aggressiv, aus etlichen Regelbrüchen ergeben sich auch gar keine Konsequenzen für andere.

Aber eines sollten wir nicht vergessen: Den Satz „jemand hat ja vorbildlich bei Gelb verlangsamt und gehalten“ wird man eher selten hören gegenüber „der ist doch aber bei Rot gefahren“. Der Großteil der Verkehrsteilnehmenden hält sich aber an die Regeln, das fällt nur nicht so auf.

»die fußgänger*innen«

Es bestehen keinerlei gesetzlichen Bekleidungsvorschriften. Im Falle eines dunkel gekleideten Fußgängers, der ordnungsgemäß die Straße auf einem Fußgängerüberweg querte und von eine*r Autofahrer*in verletzt wurde, erreichte die beklagte Versicherung ein Mitverschulden des Geschädigten. In der Berufung vor dem Oberlandesgericht München (Urteil vom 30. Juni 2017, Aktenzeichen 10 U 4244/6) jedoch wurde klar darauf verwiesen, dass sich der Fußgänger keinen Mitverschuldensvorwurf wegen der Farbe seiner Kleidung gefallen lassen müsse. Dies widerspräche nicht nur der Rechtsordnung, sondern auch der Lebenswirklichkeit. Das Fahrverhalten ist laut StVO an die Sichtbedingungen anzupassen.

Für die Wahl des Übergangs seien die Umstände entscheidend, so urteilte das Oberlandesgericht Hamm. Demgemäß verstößt jemand, der jenseits der 5 Meter ab einer Ampel die Straße quert, nicht gegen die Wartepflicht. Allerdings gilt das Gebot § 25 Abs. 3, dass Fußgänger*innen die Straße an gekennzeichneten – wenn vorhandenen – Stellen zu queren haben. Es hängt daher davon ab, wie weit der nächstgelegene gesicherte Übergang vorhanden wäre.Auf der anderen Seite sind die Querungszeiten oft so kurz, dass die Grünphase für eine langsame Person nicht ausreicht. Befindet sich eine Person auf ihrer legal angetretenen Querung, darf sie sie unabhängig von der benötigten Dauer beenden. Jegliche „Hinweise“ seitens anderer Verkehrsteilnehmer*innen bedeuten eine Nötigung.
(Obligatorisch: Aber wenn ein Rotlichtverstoß, wie im Kommentar beschrieben vorliegt, dann ist der nächste Zebrastreifen in nicht-unmittelbarer Nähe.)

Dies ist ein beliebtes Argument, wenn es um Parkplatzbewirtschaftung oder -reduzierung geht, das jedoch vorwiegend von Autofahrer*innen angeführt wird. Nur ca. 5 Prozent der Bevölkerung sind dauerhaft körperlich beeinträchtigt, und diese würden wiederum von geringerem motorisierten Verkehrsaufkommen profitieren. Generell ist der fließende Verkehr das kleinere Problem; für Gehbehinderte ist das unrechtmäßige Parken in Fußgängerfurten oder auf gesondert ausgewiesenen Parkplätzen ein deutlich größeres. Und ob Kinderwagen oder Rollstuhl: Den vermiedenen Umweg macht ein*e andere*r.

»die radfahrer*innen«

Die einzige Steuer, die allein von Autofahrenden gezahlt wird, ist die – im Übrigen wie alle deutschen Steuern – nicht zweckgebundene Kfz-Steuer mit 2018 rund 9 Milliarden. Für Bau, Erhalt, Betrieb und Verbesserung hat der Bund 12,5 Milliarden ausgegeben. Diese Rechnung beinhaltet nur den reinen Straßenbau, aber macht bereits deutlich, dass allein die Kfz-Steuer nicht reichen würde. Hier bleiben bspw. Schäden in der Luftreinhaltung außen vor, die auf Kosten und zu Lasten aller gehen. Laut Bundesverkehrsministerium erzeugen Autofahrende hinsichtlich eines gesamtgesellschaftlichen Nutzens 20 Cent Kosten pro Kilometer, die derzeit nicht durch Steuern und Abgaben gedeckt sind, Radfahrende erwirtschaften im gleichen Rahmen 30 Cent.

Für alle Fahrzeuge gilt laut StVO ein Rechtsfahrgebot. Doch sie müssen ebenfalls alle gleichermaßen ausreichend Platz zu Menschen und Dingen am rechten Fahrbahnrand halten, um reagieren zu können und sich und andere zu schützen. Gerichte halten hier meistens etwa 0,8 bis 1 Meter Abstand nach rechts für zulässig, bei hohen Bordsteinen oder Schienen auch mehr, zu parkenden Autos etwa 1,5 Meter. Ein Fahrrad ist ausgehend vom Lenker etwa 70 cm breit. Bei einer Fahrbahnbreite von ca. 3 Metern fahren Radfahrer*innen also an vielen Stellen durchaus regelkonform in der Mitte der Fahrbahn.

Im städtischen Raum gibt es fast keine Straßen, die nicht auch von Radfahrenden genutzt werden dürfen. Es gibt wenige verpflichtende Radstreifen/-wege, die durch ein blaues Schild mit weißem Fahrrad gekennzeichnet sind – meist im Bereich von Kreuzungen.

In den 3./4. Klassen ist der Erwerb eines Fahrradführerscheins in dem Unterrichtsplan integriert. Außerdem hatten im Jahr 2019 etwa 56,88 Millionen Deutsche einen Pkw-Führerschein, rund 13,54 Millionen besitzen keinen, knapp 14 Millionen sind unter 18 Jahren. Damit verfügt der größte Teil der Deutschen über einen Führerschein, auch wenn er kein eigenes Auto unterhält.

Vorausschauendes Fahren und Rücksichtnahme sind Gebote der StVO. Sie ergeben sich nicht aus Kontrollen, sondern werden durch solche überprüft. Schwerpunktkontrollen werden bereits für alle Verkehrsteilnehmenden gleichermaßen durchgeführt. Eine solche führte im April 2019 in Berlin zu 1.845 Anzeigen gegen Auto- und Lkw-Fahrer*innen (Verstöße beim Abbiegen, das Ignorieren roter Ampeln, verbotene Handynutzung am Steuer und Missachtung der Gurtpflicht) und 1.102 Radfahrer*innen (Fahren auf Bürgersteigen und überfahren von Kreuzungen bei Rot).

Berlin hat beispielsweise eine Motorisierungsrate von 326 Fahrzeugen auf 1.000 Einwohner*innen. Damit besitzt nur etwa jede*r dritte Berliner*in einen eigenen Pkw, also machen Autofahrer*innen mitnichten den Großteil der Einwohner*innen aus. Würde in Städten jede*r ein Auto fahren und abstellen wollen, würde man gar nicht mehr vorwärts kommen. Berlin etwa hat eine Gesamtfläche von 892 Quadratkilometern. Wenn jede*r der 3,7 Millionen Einwohner*innen ein Auto abstellen wollte, wäre das eine Fläche von mehr als 44 Quadratkilometern – also so groß wie Offenbach am Main.

»die autofahrer*innen«

Werden Autofahrende in einen Unfall verwickelt, erhalten sie fast immer eine Mitschuld. Das regelt der § 7 Abs. 1 StVG auf Grundlage einer erhöhten Betriebsgefahr. Doch es gibt auch Urteile bei denen diese erhöhte Betriebsgefahr vollständig hinter der Fahrlässigkeit desjenigen zurücktritt, der den Unfall verursacht hat. So urteilte das OLG Karlsruhe im Falle eines Fußgängers, der die Fahrbahn bei Grün betrat und als er die Mittelinsel erreichte nicht auf den Wechsel des Lichtsignals achtete und von einem Auto angefahren wurde.

Jährlich wird 4.000 bis 5.000 Fahrer*innen der Führerschein entzogen. Diese Zahl ist seit Jahren relativ stabil. Unser Gehirn verarbeitet aber Beobachtungen subjektiv und bspw. negative Ereignisse können eine ganze Reihe vorhergehender positiver oder neutraler Ereignisse derartig überschatten, dass sie als dominierend wahrgenommen werden. Das Stresslevel kann zwar durch hohe Verkehrsdichte durchaus ansteigen, doch in der Regel ist ein Konflikt im Straßenverkehr der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, aber eben nicht der Liter, der schon drin war. Und das trifft natürlich auf alle Verkehrsteilnehmenden gleichermaßen zu: Wer gestresst vor die Tür geht und unter Druck gerät, reagiert anders als jemand, der entspannt ist. Und wer zu aggressivem Verhalten neigt, tut dies, ob er im Auto sitzt oder im Restaurant.

Das Bild des deutschen „Rasers“ ist wird immer wieder durch Medienberichte wie bspw. über illegale Autorennen untermauert. Und tatsächlich waren Geschwindigkeitsverstöße 2018 mit etwa 3 Millionen die häufigste geahndete Ordnungswidrigkeit (78 Prozent davon waren Männer). Laut einer Studie des Bundesverkehrsministeriums fuhr jedoch gerade mal jeder zehnte Autofahrende auf der Autobahn schneller als 150 km/h und nur jeder dritte schneller als 130 km/h. Damit halten sich mehr als zwei Drittel selbst da an die Richtgeschwindigkeit, wo keine Geschwindigkeitsbegrenzung vorgeschrieben ist.

Es fällt auf, dass gerade das Radfahren polarisiert. Die Grenze zwischen Fahrbahn und Gehweg ist klar definiert. Radwege bzw. -streifen hingegen können auf der Fahrbahn oder dem Gehweg sein, so dass sich Verkehrsteilnehmende immer wieder auf verschiedene Verkehrsführungen einstellen müssen. Der Radverkehr gewinnt mehr und mehr an Bedeutung und ist gerade in Städten hinsichtlich Kosten, Zeit und Flexibilität oft unschlagbar. Und je populärer dieses Verkehrsmittel wird, desto mehr Platz braucht es. Dieser kann auf dem begrenzten Raum nicht neu geschaffen, sondern immer nur neu verteilt werden. Da Fahrradfahren sowohl ökologisch als auch gesundheitlich gegenüber motorisiertem Verkehr von Vorteil ist und den öffentlichen Raum effektiv nutzt, wird es im Rahmen des Umweltverbunds (Fuß-, Rad- und öffentlicher Personenverkehr) zunehmend priorisiert. Auf Basis des Volksentscheid Fahrrad, ein Projekt von Changing Cities, trat im Juni 2018 das erste deutsche Mobilitätsgesetz in Berlin in Kraft, das eine umfangreiche Förderung des Umweltverbundes beinhaltet.

Bereits im Mai 2002 beschloss der Deutsche Bundestag den ersten Nationalen Radverkehrsplan (NRVP). Im Rahmen dessen wurden seitdem Radverkehrsprojekte durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) gefördert, so auch diese Kampagne, die wir als kleine spendenbasierte Ehrenamtsorganisation sonst nicht hätten umsetzen können. Doch das Geld allein ist es auch nicht. Wir hatten Unterstützung aus fachlicher Sicht durch unsere Partner*innen und bei der Produktion durch viele ehrenamtliche Helfer*innen, die für die gute Sache mal nicht aufs Rad gestiegen, sondern ins Becken gesprungen sind.

verkehrsmittel in deutschland
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Millionen Fahrräder
umfasste der private Besitz im Jahr 2019

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Millionen Autos
waren 2019 zugelassen

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Millionen Menschen
nutzen täglich den öffentlichen Personenverkehr